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Projektbesuch in Kenia: Reiseblogeintrag von Natalie Plhak 

16.07.2025
Mehrere Menschen vor einem Shop in Kenia
Vor dem Shop von Simon Irungu Mwangi und seiner Frau Margret Maima. © Dennis Hombe, Licht für die Welt
  • Behindertenrechte
  • Inklusion im Beruf

Ich bin ein bisschen aufgeregt, als ich aus dem Flugzeug steige. Es ist nicht mein erster Projektbesuch in Afrika mit Light for the World – aber mein erstes Mal in Kenia. Mein erster Eindruck von Nairobi ist… Ganz anders als erwartet. Ich bin überrascht, wie modern die Stadt ist. Und wie riesig! Bargeld? Nicht notwendig. Fast alles bezahlt man mit dem Handy. Wir haben viel vor in den nächsten Tagen. 

Darf ich mich kurz vorstellen? Ich bin Natalie Plhak, Pressesprecherin von Light for the World, und ich begleite auf dieser Reise zwei Journalisten. Unsere Mission für die kommenden Tage: uns vor Ort ein Bild zu machen von der Arbeit, die Light for the World in Kenia leistet. Die Programmarbeit von Light for the World Kenia und die einzelnen Lebensgeschichten hinter den Zahlen unserer Tätigkeitsberichte kennenzulernen. Und uns davon zu überzeugen, dass jeder Euro der Spenderinnen und Spender gut investiert ist und wirklich einen Unterschied macht.  

Light for the World Projekte in Kenia

In Kenia konzentriert sich Light for the World auf die wirtschaftliche Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen. In den nächsten Tagen werden wir mehrere sogenannte “Microentrepreneure” kennenlernen: Kleinunternehmer*innen mit Behinderungen, die dank der Programme von Light for the World erfolgreich wirtschaften und sich ihren Lebensunterhalt selbst verdienen, anstatt in Armut zu leben und auf der Straße betteln zu müssen. Wenn ich an die Geschichten denke, bekomme ich gleich wieder Gänsehaut… Doch eins nach dem anderen.  

Neben Trainings für Menschen mit Behinderungen berät Light for the World auch Unternehmen und öffentliche Einrichtungen auf ihrem Weg ein inklusives Arbeitsumfeld zu gestalten. Und beschäftigt selbst Mitarbeiter*innen mit Behinderungen, die wiederum eine Vorbildwirkung haben. 

Es geht los – ab ins Hochland 

Wir bleiben nicht lange in der Hauptstadt, sondern fahren schon am nächsten Tag weiter ins zentralkenianische Hochland. Genauer: Nach Laikipia County. Das Team von Light for the World Kenia hat schon alles für uns organisiert und vorbereitet. Ich bin überrascht, wie pünktlich alle hier sind. Um 07:00 Uhr ist Abfahrt? Punkt 06:45 Uhr stehen alle bereit, um 06:55 sitzen alle im Auto und um 07:00 Uhr rollt das Auto los. Ich schäme mich ein wenig für das Vorurteil, dass in Afrika die Uhren anders ticken… Mal wieder der Beweis, dass man nicht alles verallgemeinern kann. Und Afrika ist eben auch kein Land, sondern ein Kontinent mit großen Unterschieden zwischen den einzelnen Ländern und Regionen. 

“Meine Tante wollte mich ertränken”: Geschichten, die bewegen 

Dennis Hombe, Kommunikationsverantwortlicher von Light for the World Kenia, und nebenbei auch unser persönlicher Fotograf auf dieser Reise, begleitet unseren Projektbesuch in Laikipia. Nach mehreren Stunden Fahrt ist vom modernen Großstadtambiente nichts mehr zu spüren. Je weiter wir uns von Nairobi entfernen, umso ländlicher wird es. Und umso dünner wird die Luft – denn wir befinden uns bald auf fast 2.000 Metern Seehöhe! 

Der erste Unternehmer, den wir kennenlernen, ist Elija Gatimu: Ein blinder Gemüsebauer.

Elija Gatimu, ein blinder Gemüsebauer mit Blindenstock auf seinem Feld
Gemüsebauer Elija Gatimu auf seinem Feld. © Dennis Hombe, Light for the World

Als er erzählt, wie er sein Augenlicht verloren hat, läuft es mir eiskalt den Rücken hinab: Elija arbeitete in einer Blumenfabrik, damals noch ohne Schutzausrüstung, trotz ätzender Chemikalien. Er war gerade einmal Anfang 20, als er durch einen Arbeitsunfall auf beiden Augen erblindete. Sein Arbeitgeber erklärte ihm, er sei selbst schuld – und feuerte ihn. Von einem Tag auf den anderen war Elija nicht nur blind, sondern auch arbeitslos. Aus der Not heraus begann er für sich selbst Essen anzubauen, um wenigstens nicht zu verhungern. Er traute sich kaum noch aus dem Haus, weil er sich ohne Augenlicht nicht mehr in der Welt zurechtfand. Der einst so lebensfrohe junge Mann wurde immer depressiver. 

Zum Glück lernte er Light for the World Projektmitarbeiter David Ndungu kennen. Elija wurde in das von Light for the World finanzierte Programm zur Unterstützung von Microentrepreneuren aufgenommen, bekam ein Businesstraining und eine Schulung, um sich mit einem Langstock fortzubewegen. Außerdem wurde er finanziell unterstützt, um ein Bewässerungsbecken anzulegen. Dank dieses Regenauffangbeckens und einer Handpumpe kann Elija auch in der Trockenzeit sein Obst und Gemüse bewässern. Dadurch hat er einen klaren Wettbewerbsvorteil und kann das ganze Jahr über anbauen, während andere Bauern und Bäuerinnen das halbe Jahr über buchstäblich “auf dem Trockenen sitzen”. Durch seine neue Aufgabe gewann Elija wieder neuen Lebensmut und Selbstbewusstsein. 

David Ndungu vor dem Regenauffangbeckens des Gemüsebauers  Elija Gatimu
David Ndungu vor dem Regenauffangbeckens des Gemüsebauers Elija Gatimu. © Dennis Hombe, Light for the World

Auch Light for the World Mitarbeiter David freut sich sichtlich darüber, dass sein “Schützling” heute so erfolgreich ist. Er erinnert sich noch daran, wie am Anfang niemand etwas bei Elija kaufen wollte – aus Angst, selbst dadurch blind zu werden. Zum Glück ließen sich die abergläubischen Dorfbewohner*innen schlussendlich vom schmackhaften Obst und Gemüse, das es bei Elija das ganze Jahr über gibt, überzeugen, und kaufen heute besonders gerne bei dem blinden Gemüsebauern ein. Doch die Geschichte zeigt, wie sehr Menschen mit Behinderungen in Kenia mit Diskriminierung und Vorurteilen zu kämpfen haben – im Jahr 2025.  

David weiß selbst, wie es ist, ausgegrenzt zu werden. Seit einer Polioerkrankung als Kind hat er ein verkürztes Bein und läuft auf Krücken. Seine Tante wollte ihn deshalb zweimal in einem Brunnen ertränken, weil er “eine Schande für die Familie” sei! Heute hat sich die Meinung seine Familie über ihn um 180 Grad gedreht – unter anderem dank seines angesehenen Jobs bei Light for the World. Eine weitere Geschichte, die zeigt: Eine Beschäftigung und erwirtschaftetes Einkommen bedeuten für Menschen mit Behinderungen weit mehr als Geldverdienen und Selbstbestimmung.  

Elisa Vass, Ö1 Journalistin, interviewt David Ndungu auf einem Feld, während die restlichen Reisebegleiter*innen zusehen
David Ndungu und Elija Gatimu berichten. © Dennis Hombe, Light for the World

Ein schönes Souvenir 

Die Geschichte von Elija steckt mir noch in den Knochen, als wir bei Ann Wanja Mugo und ihrem Sohn John Kiratu zuhause ankommen. John ist 18 Jahre alt und lebt mit einer psychosozialen Behinderung. Er sitzt gerade hochkonzentriert an der Arbeit und webt einen Badezimmerteppich.  

Ann Wanja Mugo, David Ndungu, John Kiratu, Natalie Plhak, Gregor Brandl & Elisa Vass. © Dennis Hombe, Licht für die Welt

Auch John hatte es nicht leicht. Sein eigener Vater misshandelte ihn, schlug ihn und erzählte ihm, dass er zu nichts zu gebrauchen sei. Zum Glück konnte Mutter Ann sich und ihren Sohn schließlich aus der Gewalt des Mannes befreien. Sie zog mit John in ein anderes Dorf und sie begannen ein neues Leben. Heute hat Ann ein eigenes Restaurant. Das Gemüse, mit dem sie kocht, kauft sie übrigens bei Elija! 

Ich bewundere Johns Hingabe beim Teppichknüpfen und verliebe mich sofort Hals über Kopf in seine handgefertigten Kunstwerke. Als ich erfahre, dass man diese kaufen kann, schlage ich direkt zu und gönne mir einen Teppich als Andenken an die Reise. In Zukunft werde ich also immer an unsere Reise nach Kenia zurückdenken, wenn ich in meinem Badezimmer aus der Dusche steige und meine Fußsohlen die flauschige Matte berühren… 

Und ich bin nicht Johns einzige Kundin. In dem von Light for the World finanzierten Programm für Microentrepreneure hat seine Mutter gelernt, wie sie seine Badezimmerteppiche erfolgreich vermarktet, seine Einnahmen und Ausgaben festhält und so seinen Lebensunterhalt verdienen kann. Dank der Einnahmen aus dem Verkauf leistet John einen wertvollen Beitrag zum Familieneinkommen – und finanziert sogar das Studium seiner Schwester! 

Von Imker zu Imkerin – mich frisst der Neid 

Als nächstes lernen wir Stanley Mbobua kennen: Einen Imker, der sich seit einem Motorradunfall nur noch mühsam und nur am Stock fortbewegen kann. Überall summt und brummt es, und ich fühle mich gleich wieder wie zuhause, denn ich bin selbst Hobby-Imkerin. Als Stanley erzählt, wie oft er Honig ernten kann, werde ich grün vor Neid und überlege kurz, nach Kenia auszuwandern: Während er zwischen sieben und achtmal im Jahr Honig gewinnt, kann ich das maximal ein bis zweimal. Es hat also seine Vorteile, am Äquator zu wohnen, wo es keine Jahreszeiten gibt wie bei uns! 

Stanleys Geschäft ist aber nicht nur seine eigene Honigernte, sondern auch die Ernte anderer Imker*innen: Mit der Unterstützung von Light for the World hat er einen Honiggewinnungsraum gebaut: Hier können Imker*innen ihren Honig hinbringen. Stanley reinigt ihn dann von Wachs- und Bienenrückständen und füllt ihn in Flaschen mit schönem Etikett ab. Dadurch können die Imker*innen ihren Honig zu einem höheren Preis verkaufen – und Stanley bekommt Geld für seine Dienstleistung. 

Außerdem gibt der langjährige Imker sein Wissen zu moderner Imkerei weiter: Traditionell benutzen Imker*innen in der Region einen Baumstamm für ihre Bienen. Das sieht zwar ziemlich abgefahren aus, ist aber eine nicht besonders erträgliche Art der Honiggewinnung. Zudem werden die Imker*innen dabei oft gestochen. Stanley lehrt deshalb eine modernere Art der Imkerei mit Hilfe von herausnehmbaren Waben. Die dafür eingesetzten Rahmen lässt er auch gleich selbst von einem extra dafür eingestellten Mitarbeiter bauen und verkauft sie weiter an interessierte Imker*innen. Ein echter Geschäftsmann, dieser Stanley!  

Ich bin sehr beeindruckt und verstehe mich auch gleich bestens mit seiner Tochter Catherine Karwitha. Sie unterstützt Stanley bei der Vermarktung seines Honigs und seines Angebots den Honig zu filtern und abzufüllen. “Durch Light for the World haben wir sehr viel gelernt. Sie haben uns auf Seminare eingeladen und uns viele Trainings ermöglicht”, erzählt sie glücklich.  

Von Einzelschicksalen zum strukturellen Wandel 

Ich könnte noch so viel erzählen von unserem Projektbesuch. Zum Beispiel von Simon Irungu Mwangi, der – neben seinem Job als Lehrer – gemeinsam mit seiner Frau ein kleines Geschäft eröffnet hat. Oder vom gehörlosen Dominic Maloko Omondi, der ein Gebärdensprachenzentrum aufgebaut hat und Gebärdensprachkurse anbietet für hörende Menschen. Damit sie mit gehörlosen Angehörigen oder Mitschüler*innen kommunizieren können! Es sind bewegende Schicksale, denen wir begegnen. Und sie wirken nach.  

Auf dem Weg zurück überlege ich, was all die Geschichten, die wir gehört haben, gemeinsam haben. Und erkenne: Alle Menschen mit Behinderungen, die wir getroffen haben, haben von ihrem Umfeld – manchmal sogar der eigenen Familie – gehört, dass sie aufgrund ihrer Behinderung zu nichts zu gebrauchen sind. Bis sie es irgendwann selbst geglaubt haben. Light for the World hat ihnen gezeigt, dass das nicht stimmt. Und so den Weg geebnet für ein neues, besseres Leben.  

Manchmal braucht es gar nicht viel, um das Leben eines Menschen und seiner Familie grundlegend zu verändern: Ein erster Schritt ist schon, dem Menschen eine Chance zu geben, zu zeigen, was in ihm steckt: Sei es ein innovativer Gemüsebauer, ein begnadeter Imker oder ein kreativer Teppichweber. 

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